Die Musikdialekt der Rumänen von Hunyad

“Die Musikdialekt der Rumänen von Hunyad”, Zeitschrift für Musikwissenschaft, II/6 (March 1920), 352–360.

Collected edition: BÖI, 462–472; Essays, 103–114; BBI/3, 76–86.

Further version: A hunyadi román nép zenedialektusa (original edition); Dialectul muzical al românilor din Hunedoara (later Romanian translation)

Source: BBA

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Sonderabdruck
aus der
Zeitschrift für Musikwissenschaft
Zweiter Jahrgang, Heft
Druck und Verlag von Breitkopf & Hartel, Leipzig

Schluß folgt.;
D er M usikdialekt der R umänen von Hunyad
von
B é la B a r t ók, Budapest
V o n allen Völkern Ungarns sind die R umänen diejenigen, welche die wahrscheinlich
liche Urform ihres Musizierens am verhältnismäßig unberührtesten beibehal ten
haben. Das Charakteristische einer, von S tädtekultur und Kunstmusik noch un:
berührten Volksmusik scheint das scharfe Zerfallen der M elodien in Kategorien zu
sein, je nach ben verschiedenen Anlässen, in denen sie gesungen ober gespielt werben.
D er Melodienschaß der R umänen zerfällt in fünf H auptkategorien:

  1. Die Kolin da=Melodien. D iese werden ausschließlich zu Weihnachten gesungen.
  2. Die Hochzeitsmelodien, welche — wie schon aus ber Benennung hervorgeht —
    bei Hochzeitszeremonien gesungen werben.
  3. Die unter ber Benennung „bocet“ * 2 3 4 5 bekannten verschiedenen T otenlieder.
  4. Die Tanzmelodien, welche ausschließlich zum T anze aufgespielt, bezw. während
    des Tanzes gesungen werben (ihr Text heißt rumänisch: strigături ober
    chiuituri); und schließlich , _
  5. Die bedeutendste Kategorie, bie sogenannten D o in a – M elodien, die eigentlichen
    Lieder, welche ohne besondere V eranlassung ebenso zu lyrischen wie Balladentexten
    gesungen werden6,
    1 Vgl. Abert in d. Z fM , a. a. D.
    2 V gl. Nr. 7 ber „Arie” Fischierris (fitteti). . . . .
    3 E benso in seiner oben (S . 5) erwähnten Arie I, 11. Vgl. dazu Mozarts Osmin in seiner
    zweiten Arie. „ „ .
    4 Nicht in diesem S inne, sondern ausschließlich im S inne eines effektvollen Liedchen heiteren
    C harakterS (f. ob. M. b) erscheint diese Bezeichnung dann bei der N aumanngruppe.
    5 A n einigen Arten „după morţii“, „vaiet“ , „zorilor“ , „cântecul bradului“ genannt. < _ 6 D ie oben erwähnten Kategorien sind allgemein bekannt. Ausserdem haben noch einige G egenden spezielle Gesänge z . B . die im Anschluß an die unter dem N amen „paparugă“ ober „dodoloaie“ bekannte Volkssitte gesungenen Lieder (im südlichen Siebenbürgen und Bánát, siehe T eodorescu : „Poezii Populare Române, Bucureşti, 1885, S eite -08), und die E rntelieder. Collection: Budapest Bartók Archives . 2021 353 Zweifelsohne gab es z. B. bei den Madjaren ehemals auch solche scharf aus= einandergehaltene Kategorien, deren Spur in den sogenannten Regösgesängen, Kinderspielen, Hochzeitsliedern, und in den, den rumänischen Doina-Melodien ent- sprechenden achtsilbigen rubato-Melodien noch deutlich erkennbar ist. Doch werden im allgemeinen eben diese oben erwähnten Melodien zur Zeit kaum mehr gesungen; dementgegen wird auf die jegt beliebten madjarischen Volksmelodien1 ebenso in Unterhaltungen getanzt, wie sie auch ohne Tanz gesungen werden, rein des Singens wegen. Die Form der rumänischen Volkstexte allgemein charakterisierend ist: erstens bet Mangel einer Strofeneinteilung (im Gegenteil zu den madjarischen und slowa- kischen Volkstexten), zweitens, daß die einzelnen Textzeilen faßt ausschließlich aus acht Silben bestehen, die in zwei Trochäenpaare zerfallen: ^ [j – ^ | – ^1 2; ín Noten könnte man dies folgendermaßen ausdrücken : 2/4 JTjl l im I . Der letzte Trochäus der Textzeilen ifi oft unvollständig. In diesem Falle wird die fehlende letzte Silbe durch „u“, „ă”, bzw. „măi“, „le“ ober „re“ ersetzt. Die Wahl ber Ergänzungssilben ist keine willkürliche: wenn die unvollständige Textzeile mit einem Mitlaute schließt, wird sie durch „u“, „ă”, -ober auch „măi“ ergänzt, schließt sie mit einem Vokale meistens durch „le“ ober „re“. Diese Silbenergänzung ist eine ber charakteristischsten Eigenheiten ber urvolkstümlichen Gesangsart ber Rumänen. Sie wird — leider — durch die rumänischen Volksschullehrer, die diese Eigenheit aus dem Volke ausrotten möchten, in ben Schulen und besonders auch durch Gesangsvereine mit allen Mitteln verfolgt. Verhältnismäßig seltener ifi — besonders in den Doina=Texten — die aus anderthalb Trochäenpaaren bestehende sechssilbige Zeile, die durch eine fünfsilbige ver- treten werden kann (- v j v. |[‘- ^), so dass wir diese Formel hier außer Acht lassen können. Der Mangel der Stropheneinteilung ermöglicht ein ziemlich freies Umgehen des Sängers mit ben Textzeilen beim Anpassen derselben an die Melodie. Die gebrauch* lichste Art indessen ist, daß die Melodie auf eine einzige Textzeile gesungen wird, und zwar wird letztere so oft wiederholt, als die Melodie den Textzeilen entsprechende Melodiezeilen enthalt. Noch eine allgemein-charakteristische Eigenheit der Textanpassung der Rumänen ist, daß die einzelnen texte im Rahmen ein und derselben Kategorie nicht an eine bestimmte Melodie gebunden sind, b. h. auf jede beliebige Doina-Melodie kann ein beliebiger lyrischer ober epischer Text gesungen werden; auf jede beliebige Kolinda-Melodie ein beliebiger Kolinda-Text. Die wenigen, auf feci;bfilbige Zeilen passenden Melodien Können natürlich nur auf entsprechende sechsilbige Zeilen gesungen werden3. Ser Musikdialekt der Rumänen von Hunyad 1 sei besonders betont, baß hier von reinen Volksmelodien und nicht von Kunsliedern in Volksliedart die Rede ist. 2 – ^ bezeichnet keine metrische Länge ober Kürze, sondern die Musikalbetontheit ober Unbetont-heit der einzelnen Silben. Siehe Weigand: „Die Dialekte der Bukowina und Bessarabiens” (Leipzig 1904) Seite 90. Die dort verzeichnete — w I — ^ II – w 1 — nach der die dritte und siebente Silbe Stärker betont wird, als die erste und fünfte, veranschaulicht daß ©fanbieten ber Text- zeilen, wenn ohne Melodie vorgetragen wird. 3 Wenn nicht der ganze Text, so ist wenigstens der Refrain, bei ben Kolinden meistenteils, bei den Doina-Melodien mit Refrain aber fajt immer, an ein und dieselbe Melodei gebunden. Sie eigentlichen Textzeilen können aber auch in diesen Fällen nach belieben gewählt werden. In gewissen neueren, auch; in städtischen Kreisen allgemein bekannten füielobieit, bie, wenn sie vielleicht nicht reinen Bauern-Ursprungs sind, ben Reim eines neuen Volksliedstiles in fid; tragen, Zeitschrift ffür Musikwissenschaft 23